Ellbogengelenkdysplasie (ED) beim Hund: Ursachen, Diagnose, Therapie und Prognose

Der fragmentierte Processus coronoideus (FPC) ist die am häufigsten auftretende Form der Ellenbogengelenkdysplasie (ED), die hauptsächlich bei jungen Hunden größerer Rassen auftritt. Oft wird diese Erkrankung aber auch erst im höheren Alter diagnostiziert, da immer wiederkehrende, kurze Lahmheiten beim Hund vom Besitzer nicht ausreichend ernst genommen werden, oder die Lahmheit nur geringgradig und nicht oder kaum für den Besitzer ersichtlich ist.

Die Erkrankung ist gekennzeichnet durch die Fragmentierung des Processus coronoideus medialis der Elle, was zu Schmerzen, Lahmheit und sekundärer Arthrose führt.

Nachfolgend eine detaillierte Übersicht über die verschiedenen Aspekte der Erkrankung:

Ursachen und Pathogenese

Die exakte Ursache des FPC ist nicht vollständig geklärt, jedoch spielen verschiedene Faktoren eine Rolle:

Genetik:

  • Einige Rassen sind prädisponiert, darunter Labrador, Retriever, Berner Sennenhunde, Deutsche Schäferhunde und Golden Retriever.
  • Aber auch bei Mischlingen und Hunden unter 25kg gewinnt diese Erkrankung an Bedeutung.
  • Genetische Untersuchungen deuten darauf hin, dass die Veranlagung zur Ellenbogendysplasie polygenetisch bedingt ist.

Biomechanik:

  • Asynchrone Wachstumsraten von Radius und Ulna können zu einer Fehlbelastung des Ellenbogengelenks führen.
  • Übermäßige Belastung des Processus coronoideus durch falsche Gelenkanatomie ist ein wesentlicher Faktor.

Ernährung und Umwelt:

  • Eine Überversorgung mit Energie oder Calcium im Wachstum kann die Entwicklung begünstigen.
  • Aus diesem Grund sollten große Hunderassen im Wachstum eher restriktiv gefüttert werden.

Symptome

  • Lahmheit der Vordergliedmaßen, oft schleichend beginnend.
  • Schmerzhaftigkeit bei Druck auf die Innenseite des Ellenbogens.
  • Steifheit nach Ruhephasen, die sich mit Bewegung bessert.
  • Reduzierter Bewegungsumfang des Ellenbogengelenks.
  • Muskelatrophie im betroffenen Bereich bei längerem Krankheitsverlauf.

Diagnose

Anamnese und klinische Untersuchung:

  • Typisches Alter bei Auftreten: 4-12 Monate.
  • Schmerzen beim Beugen und Strecken des Ellenbogengelenks.

Bildgebende Diagnostik:

  • Röntgen:
    • Oft indirekte Hinweise wie arthrotische Veränderungen.
    • Direkte Darstellung des Fragments ist schwierig.
  • Computertomographie (CT):
    • Goldstandard für die Diagnose, da sie eine detaillierte Darstellung der Fragmentation ermöglicht.
  • Arthroskopie:
    • Ermöglicht die direkte Sicht auf das Fragment und andere intraartikuläre Strukturen.
    • Kann gleichzeitig diagnostisch und therapeutisch eingesetzt werden. Jedoch können hier nur (sehr) kleine Fragmente entfernt werden.

Therapieoptionen

Konservative Behandlung:
Diese Therapieform empfiehlt sich nur für sehr alte Hunde, bei denen aus anderen Gründen keine Operation bzw. Narkose mehr empfehlenswert ist.

  • Gewichtskontrolle zur Entlastung der Gelenke.
  • Kontrollierte Bewegung, oft unter Anleitung eines Physiotherapeuten.
  • Langfristige Gabe von nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR) zur Schmerzlinderung.
  • Ergänzungsfuttermittel mit Glucosamin und Chondroitinsulfat zur Unterstützung des Gelenkstoffwechsels.
  • Limitierte Wirksamkeit bei fortgeschrittener Arthrose.

Chirurgische Behandlung:

  • Fragmententfernung:
    • Entfernung des fragmentierten Processus coronoideus.
    • Erfolgt am offenen Gelenk (Arthrotomie)
    • Arthroskopische Entfernung ist auch möglich, jedoch ist die Größe des zu entfernenden Fragments kleiner.

    Wir operieren den FPC am offenen Gelenk, da damit der abgebrochene Fortsatz (Processus) großflächiger entfernt werden kann. Dies hat eine bessere Langzeitprognose. Der Vorteil eines minimalinvasiven Eingriffs (Arthroskopie) steht dem entgegen. Zudem ist die Arthroskopie wegen eines dtl. höhren Aufwandes kostenintensiver und die Narkosedauer länger. Die Genesungszeit ist bei beiden Methoden gleichwertig.

  • Osteotomie:
    • Bei bestimmten Fällen können Osteotomien der Ulna oder des Radius zur Korrektur der Gelenkanatomie beitragen. Dies empfiehlt sich nur bei sehr jungen Hunden. Die Prognose ist dabei sehr gut.

Prognose

Kurzfristig:

  • Nach erfolgreicher chirurgischer Entfernung des Fragments und minimalen arthrotischen Veränderungen vor der Operation ist die Prognose gut.

Langfristig:

  • Trotz Therapie entwickeln viele Hunde eine Ellenbogenarthrose.
  • Der Schweregrad der Arthrose hängt vom Zeitpunkt der Behandlung und der Belastung des Gelenks nach der Operation ab.

Prognostische Faktoren:

  • Frühzeitige Diagnose und Therapie verbessern die Langzeitergebnisse.
  • Umfang der arthrotischen Veränderungen zum Zeitpunkt der Operation

Durch die Kombination aus früher Diagnose, gezielter Behandlung und langfristiger Nachsorge kann der Verlauf des FPC beim Hund signifikant beeinflusst werden. Regelmäßige Kontrolluntersuchungen und eine angepasste Bewegungstherapie sind essenziell, um die Lebensqualität betroffener Hunde zu erhalten.

Differentialdiagnosen

Die Ellenbogendysplasie (ED) des Hundes ist ein Sammelbegriff für verschiedene Entwicklungsstörungen des Ellenbogengelenks. Zu den häufigsten Erkrankungen, die im Rahmen einer ED auftreten können, gehören:

Osteochondrosis dissecans (OCD):

  • Defekt im Gelenkknorpel, meist am medialen Condylus des Humerus. Kommt auch oft an der Schulter vor.
  • Kann zur Ablösung eines Knorpelstücks führen, was Schmerzen und Gelenkentzündungen verursacht.

Isolierter Processus anconaeus (IPA):

  • Der knöcherne Vorsprung an der Elle (Processus anconaeus) verwächst nicht richtig mit dem Hauptknochen.
  • Führt zu Instabilität im Gelenk und begünstigt Arthrose.

Eine genaue Diagnostik mittels Röntgen, CT oder MRT ist notwendig, um die korrekte Ursache der Lahmheit zu identifizieren. Eine klinische Untersuchung gibt oft schon die ersten Hinweise.

Fallbeispiele:

Patient: Rudi

Tierart: Hund
Rasse: Labrador
Alter: 9 Monate
Geschlecht: Männlich

Anamnese:

Rudi hat immer wieder vorne gehumpelt, schon seit mehreren Wochen. Der Haustierarzt meinte, es kommt vom Wachstum. Die Besitzerin wollte eine sicherere Abklärung. Nach der klinischen Untersuchung mussten wir den Verdacht einer genetisch bedingten Erkrankung des Ellenbogengelenkes gegenüber der Besitzerin äußern – und zwar beidseits links und rechts! Es wurden ohne Narkose Röntgenaufnahmen bei Rudi gemacht. Der Verdacht verstärkte sich. Eine Computertomographie sollte Gewissheit schaffen, da diese Diagnostik bei dieser Erkrankung als Mittel der Wahl gilt.

Diagnostische Maßnahmen:

  • Klinische Lahmheitsuntersuchung
  • Röntgen
  • Computertomographie

Diagnose:

Beidseitiger frakturierter Processus coronoideus, Anfangsstadium, noch keine übermäßigen Arthrosen

Therapie:

Beidseitige Ellbogengelenk-Operation im Abstand von 3 Monaten

Prognose:

Da diese Operationen am Gelenk bei Rudi frühzeitig stattgefunden haben, ist die Prognose eines beschwerdefreien Lebens recht hoch. Dennoch muss erwähnt werden, dass diese Operationen keine vollständige Heilung bewirken. Ein intensiver Leistungssport sollte für Rudi nicht angestrebt werden.